In allen Religionssystemen und Schriften der Weltweisen wird dem Menschen
der Weg angedeutet, wie er sich dem Endziel seiner seelischen
Entwicklung nähern und verwirklichen kann und stimmen dieselben alle
damit überein, dass dies durch Erhebung aus dem Vergänglichen in das
Ewige, durch Entfaltung und Erweckung des göttlichen unsterblichen
Teils in ihm geschehe.
Dies ist zwar immer die Quintessenz aller Religionen und wurde zu allen
Zeiten gelehrt. Aber
es gab und es gibt immer auch Menschen, die die Form, in der
dies gelehrt wird, mehr verehren als die Wahrheit selber. Solche
Streiter hängen und kleben an einer bestimmten Form und halten
alle diejenigen, die eine andere Form sich zur Richtschnur
wählen, für unbekehrte oder gar Verlorene, Abtrünnige.
Wer indes sich darüber streitet, welche Form wohl die richtige sei, der
vergisst und verliert die Wahrheit immer mehr und macht sich ihr
unwürdig. Formen müssen wechseln, entsprechend der Änderung des
Charakters eines Volkes.
Formen müssen sich dem entsprechenden Entwicklungsgrade einer Rasse
anpassen.
Früher konnte das Ziel der menschlichen Entwicklung nicht in der Weise
beschrieben werden, wie dies heute erforderlich ist, und es wird
eine Zeit kommen, wo es wieder in anderer Form erscheinen wird.
Die Form ist eben nicht zu verwechseln mit der Wahrheit
selbst, die durch sie zum Ausdruck kommen soll.
Die absolute Wahrheit selbst kann nie gelehrt werden, weil sich der Mensch
immer von einem Standpunkte aus betrachten muss, solange er von ihr
spricht oder über sie schreibt. Deshalb hat keine Religion Anspruch
darauf, die einzige richtige zu sein, und die Menschen die
ihr nicht angehören als Heiden zu erklären.
Die absolute Wahrheit kann nur empfunden werden, durch sich selbst, sie ist
formlos! Und alle Lehren haben nur den Zweck, zu diesem Ziele zu
führen. Niemand kann deshalb zur Wahrheits- oder Gotterkenntnis
kommen als durch Gott im Menschen, der von St. Paulus der Christus
in uns genannt wird und von den Indern Ishwara, von den Brahmanen
Brahma.
Und dieser Christus in uns sagt in der Symbolik der
Bibel: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt
zum Vater denn durch mich.
Und in der Bhagavad Gita, der Bibel der Inder spricht
Krishna, der Gottesfunken im Menschenherzen:
Unter denen die die Wahrheit suchen, sind
wenige, die erkennen, dass ich die Wahrheit bin.
Die Lehren über den geistigen Fortschritt des Menschen umfassen ein grosses
Gebiet. Ein wichtiges Studium ist dasjenige von der Natur und Macht
der Gedanken, das besonders für unser jetziges Zeitalter passt und
unserer Nation sehr nottut. Hiermit wollen wir uns etwas
beschäftigen. Religion kann von nun an nicht mehr ohne Trainierung
der Gedanken betrieben werden.
Der Materialismus unserer Zeit hat den Menschen in eine Gedanken-Sackgasse
getrieben, aus der er nur schwer herauskommt. So ist es denn von
grosser Bedeutung, dass wir erkennen, dass Gedanken eine
schöpferische Kraft besitzen, dass das ganze Leben sich nach unseren
Gedanken gestaltet, unser Zustand eine Folge unserer Gedanken ist,
die wir früher und bisher gehegt haben. Ja, unser ganzes Dasein, wir
selbst, sind nichts anderes als das Produkt unserer Gedanken. Aber
die Gedanken entspringen der Weltanschauung, also bestimmt die
Weltanschauung des Menschen sein ganzes Leben und seine körperliche
und geistige Zufriedenheit.
Die Gedankenkraft ist die mächtigste Kraft, die ein Mensch besitzen kann.
Meistens aber ist es umgekehrt, da besitzen die Gedanken den
Menschen, und er ist ein Spielball derselben. Ja, dem Menschen
erscheint es gar nicht einmal wünschenswert, dass er seine Gedanken
in seiner Gewalt hat. Er lässt sich von ihnen, wie sie gerade kommen
und gehen, träumerisch umherschaukeln. Aber dadurch muss er
gegenwärtig sein, dass sich zu jederzeit auch Unangenehmes in sein
Gemüt einschleichen kann, und dies nennt man im allgemeinen: Das
Leid und die Plage dieser Welt.
Aber mancher würde und könnte sich aus der alltäglichen Duselei, aus dem
monotonen Wechsel von Freud und Leid zu einem höheren Dasein
emporraffen, wenn er wüsste, dass man seine Gedanken regulieren
lernen kann.
Es ist nämlich die allgemeine Ansicht verbreitet, das Denkprinzip sei das
eigentliche Wesen des Menschen. Dies ist aber nicht der Fall. Der
wahre Mensch steht über der Denktätigkeit und braucht nicht in den
kommenden und wieder verschwindenden Vorstellungsbildern aufzugehen.
Wer dies bewiesen haben will, der muss sich zu seinem wahren Wesen
erheben, wo alle Denktätigkeit aufhört. Das wahre Wesen des Menschen
ist unveränderlicher, göttlicher Natur und steht über den
Schwankungen des Gedankenlebens.
Es ist wie Goethe sagt: Der ruhende Pol in der Erscheinung Flucht. Es
ist der Meister im Menschen, und wer sich mit ihm vereinigt, der
nimmt an dessen Glorie und Ruhe teil.
Das Gedankenleben des Menschen ist schwankend. Er kann nicht immer denken
was er will, sondern denkt, was er muss. Ja die meisten Gedanken
kommen gar nicht von ihm selbst, sondern sind Gedanken seiner
Umgebung. Gedanken sind nämlich Dinge. Sie werden auch übertragen,
sie gehen von einem zum andern. Dies beweist auch die Telepathie
oder Wissenschaft von der Gedankenübertragung, wovon sich jeder
durch sich selbst überzeugen kann, der nach einem experimentellen
Beweis trachtet.
Aber diese Gedankenübertragung geschieht auch fortwährend unbewusst.
Legionen von Gedanken und Vorstellungen tauchen im Gemüt des
Menschen fortwährend auf, die meistens nur durchziehende fremde
Gäste sind. So ist jede Familie, jede Stadt von ihrer eigenen
Gedankenatmosphäre umworben, deren Einfluss jedes einzelne Mitglied
mehr oder weniger unterworfen ist.
Um aber geistig fortzuschreiten, ist vor allen Dingen nötig, selbständig
denken, seine Gedanken beherrschen und leiten zu können, seine Ideen
von fremden Beiwerk unterscheiden zu lernen, ja überhaupt eigene
Ideen zu haben. Dadurch wird das erreicht, was man Selbstkontrolle
nennt.
Das Ziel, das jedem einzelnen Menschen gesteckt ist, und dessen Erlangung
jerderman offen steht, ja zu dessen Verwirklichung er durch das
Entwicklungsgesetz gezwungen wird, dieses Ziel ist das Bewusstwerden
seiner eigenen göttlichen Sohnschaft, wodurch er der höheren
Erkenntnisse und göttlichen Kräfte teilhaftig und unsterblich wird.
Um aber dieses Ziel zu erlangen, ist es nötig, dass der Mensch zuerst die
Selbstkontrolle erlernt, dass er die niederen Kräfte in sich den
höheren unterstellt.
Körperkräfte werden durch die Triebe und Empfindungen beherrscht. Triebe und
Leidenschaften werden durch die Gedankenmacht beherrscht, aber die
Gedanken selbst können wiederum durch die geistig göttliche
Willenskraft beherrscht werden, wenn sie in einem Menschen erweckt
ist.
Wir sehen also, je höherer und feinerer Art die Kräfte im Menschen sind,
desto gewaltiger und mächtiger sind sie.
Es ist gerade umgekehrt, als wie man gewöhnlich glaubt.
Materielle Kräfte sowohl im Menschen als auch in der Natur
sind keine wirklichen selbst-existierenden Kräfte, sondern nur die
Folge von geistigen und werden von denselben beherrscht. So ist die
mächtigste Kraft im Menschen diejenige, die über seine Gedanken
steht und durch die er sein ganzes Wesen kontrollieren kann.
Wer aber seine Gedanken beherrschen und leiten gelernt hat, der hat dadurch
alle Kräfte in seiner Gewalt, kann auf den Körper einwirken, ihn
gestalten und umgestalten, Krankheit, Unglück, Schmerz, überhaupt
alle irdische Last und Plackerei überwinden, denn die Gedanken haben
eine suggestive Macht. Wer aber die Gedankenmacht vollständig in
seiner Macht hält, den würden dies sofort zum Meister der
Naturgewalten machen. Ein
solcher ist eine Möglichkeit und wurde zu verschiedenen Zeiten mit
verschiedenen Namen benannt. Ein solcher beherrscht die ganze Natur,
er ist ein Heiliger, ein Adept.
Um diese höheren Seelenkräfte zu erlangen, muss sich der Mensch vorerst in
seinem Denken selbständig machen. Er muss auf eigenen Füssen stehen,
er muss für sich nach einer klaren, befriedigenden Weltanschauung
suchen, nach der er seine Gedanken richten kann. Deshalb ist das
Trachten nach eigener Klarheit und Wahrheit sehr zu empfehlen. Die
Wahrheit darf nicht gefürchtet werden, man muss ihr folgen. Sollte
sie einem auch unangenehm sein, man muss ihr folgen,
wenn sie auch von den
obligatorischen oder sektierischen Richtungen, die in der Welt
herrschen abzweigt. Man muss ihr folgen, wenn sie auch als zur Hölle
führend bezeichnet wird. Aber wenn man die Wahrheit liebt, wird sie
einen frei machen, und man kann nicht in die Irre gehen. Diese
Freiheit ist die Erlösung des Menschen, die geistige
Selbstbeherrschung, wodurch er sich von seinen eigenen Fesseln der
Leidenschaften und Nicht-Erkenntnis befreit. Andere Feinde hat er
nicht.
Diese Selbstbeherrschung wird dem Menschen leichter gelingen, wenn er die
Natur und Eigenschaft der Gedanken kennen lernt. Gedanken sind eben
wirklich existierende Kräfte, in der geistigen, unsichtbaren Welt.
So wie ein Ton der Luft
Schallwellen erzeugt, so erzeugt das Denken Gedankenwellen. Sind
diese stark genug, dann werden sie zur Tat. Also Taten entspringen
aus Gedanken. Wer sich eine üble Gewohnheit oder Leidenschaft
abgewöhnen will, der muss vor allen Dingen seine Gedanken daran
verhindern, über diesen Gegenstand herzufallen.
Denn dadurch, dass er immer an den Gegenstand seines Verlangens denkt,
stärkt und ernährt er Elemente in sich, die dann schliesslich so
stark werden, dass sie ihn überwältigen.
Hängt der Mensch einer bestimmten Gedankenrichtung nach, so wird er
schliesslich von seiner selbst geschaffenen Gedankenmacht
überwältigt und zur Verwirklichung gezwungen.
Die Gedanken sind das Wesentliche und wenn sie stark genug sind, dann werden
sie sich verkörpern. Wer die Gedanken nicht beherrschen lernt, der
lernt noch viel weniger die Tat beherrschen. Die Tat ist dann
vielleicht nicht einmal seine Absicht gewesen, sondern war nur ein
unvermeidliches Resultat. Mancher Mörder und Verbrecher hat nicht
die Absicht zu morden und zu stehlen, aber er hegt Mord- und
Verbrechergedanken. Aber diese Gedanken bleiben, sammeln sich an und
wirken auf ihn und andere ein. Wird nun ein solcher Gedankenstrom
durch gleiche und ähnliche Gedanken immer wieder genährt, so wird er
stärker, bis er schliesslich stärker wird als sein Erzeuger, aber in
demselben Momente, in dem er die Übermacht gewinnt, zwingt er seinen
Erzeuger zur Tat.
Dieser Vorgang ist zu vergleichen mit einem Bassin, in das ein kleines
Bächlein fliesst. Ist der Behälter voll, dann läuft er über. Der
Gedankenstrom des Menschen fliesst nicht umsonst. Die Energie
sammelt sich an und sucht sich zu verwirklichen. Da ist dann kein
Ausweg mehr. Der
Betreffende wird von seinen eigenen Gedanken hypnotisiert, verliert
die klare Vernunft und begeht die Tat. Dies erklärt auch die
Tatsache, dass viele Verbrecher, die einen Mord begangen hatten,
behaupten, sie hätten eine solche Tat nie ausführen wollen, hätten
sich aber nicht mehr zurückhalten und beherrschen können und sie
bereuen ihre Tat sehr.
Es gibt sogar auch Menschen, deren Gemüt empfänglich ist für Mordgedanken
anderer. Sie ziehen solche Gedanken an, werden von ihnen beherrscht.
Und sie verfallen dann der sogenannten Mordmanie oder der Lust zu
Morden, ohne Ursache; eine Tatsache, die der Wissenschaft gänzlich
unerklärlich ist. Man liest hie und da Berichte von ganz harmlosen
Individuen, die in kurzer Zeit eine grosse Anzahl Menschen ums Leben
gebracht haben. In diese Kategorie gehören auch diejenigen, die aus
Gewohnheit stehlen, so wie die sogenannten Giftmischer und
Besessenen.
Die spiritistische Mediumschaft kann unter Umständen einen Menschen auf eine
solche Stufe bringen, weil er sich selbst Einflüssen von aussen
preisgibt. Es wird sogar von manchen Spiritisten behauptet,
Mordmanie und Wahnsinn sein eine verkehrte Art Mediumschaft. Dies
mag richtig sein, insofern man jeden Menschen, in dem Kräfte zum
Ausdruck kommen, die er nicht selber beherrscht, ein Medium nennen
kann. Eine Beherrschung
des menschlichen Handelns durch Gedankenkräfte ist bei allen Taten
der Fall, seien sie nun gut oder böse. Der Gedanke ist die Ursache
und die Tat die Folge.
Und wenn schliesslich eine Tat verhindert wurde, so ist es für den, der sie
vollbringen wollte, gerade so, als hätte er sie durchgeführt. Er
wird sie dann ein andermal vollbringen, falls inzwischen nicht
andere stärkere und anders schwingende Gedanken dazwischen treten.
Hier nämlich wie überall, das Gesetz der periodischen Wiederkehr,
der Rhythmus.
Starke Gedanken kommen zu bestimmten Perioden aus einem Schlummerzustand
hervor und machen sich wieder geltend. Gedanken sind wirkliche
Wesen, bestehend aus der denkbar feinsten subtilsten Materie. Diese
streben, in Form einer Tat geboren zu werden. Ist die Tat
vollbracht, so kehrt der Gedanke zurück zu seinem Erzeuger,
bereichert durch Erfahrung, um dann modifiziert wiederum nach der
Tat zu drängen. Also aus einer Tat entspringt eine andere, die
Gedanken verkörpern sich wieder. Wir sehen, die Gesetze des Weltalls
sind überall gleich, treten in allen Dingen in Kraft.
So ist auch das Gesetz der Wiederverkörperung allgemein und hat überall
seine Analogien. Es ist nicht nur für Universen, Weltkörper,
Menschen, Atome, sondern auch für die Gedanken anwendbar.
Eine Idee taucht in der Gedankenwelt eines Menschen auf. Wird sie vom Willen
beseelt und hat sie genügend Stärke erlangt, dann wird sie sich
verkörpern, d.h. sie wird zur Tat, sei sie nun teuflisch, menschlich
oder göttlich. Die Tat nimmt ein Ende, aber die Idee bleibt und
bringt wieder eine neue Tat ins Dasein. So ist auch jedes Geschöpf
ein Gedanke der Allseele.
Es wird auf Erden verkörpert als Tier, Mensch oder als Gottmensch. Die Form
vergeht, aber der Geist bleibt und verkörpert sich wieder. So finden
wir in den Gesetzten im Kleinen eine Analogie zu den Gesetzen des
Weltalls. In unserer eigenen Seele finden wir ein Weltall im
Kleinen. Darin können wir die Weltgeschichte studieren, wenn wir uns
selbst kennen lernen möchten.
Gedanken wollen sich auch von aussen zu uns hereindrängen, kommen von
anderen Menschen auf uns zu und suchen sich bei uns festzusetzen.
Sie haben die Eigenschaft, dass sie da anerzogen werden, wo ein
günstiger Boden für sie ist. Den in ihrer Nähe empfänglichen
Gemütern hängen sie sich an und beeinflussen sie. Daher kommt es
auch, dass in jeder Nation, in jeder Stadt, in jedem Hause eine
bestimmte Gedankenrichtung vorherrscht, die diejenigen Menschen mit
sich reisst, die psychisch schwach sind und nicht selbständig denken
können. In jeder Stadt herrscht wieder ein anderer Geist. In der
einen tritt vielleicht die Verdorbenheit besonders stark hervor, in
einer anderen die Intoleranz, wieder wo anders die Gemütlichkeit,
der Geiz, oder die Klatschsucht usw., von welchen Eigenschaften dann
ein jeder Bürger ein weinig hat.
In einer Familie herrscht diese, in einer anderen jene Gewohnheit. Das
Mitglied einer Familie, das geistig sehr reif und Edel ist, während
die anderen die Heuchelei und Hinterlistigkeit in sich herumtragen,
wird immer Gefahr laufen, in diese niedere Gedankenrichtung
hinabgezogen zu werden. Es werden in ihm ähnliche Gedanken
auftauchen, er wird geistig angesteckt, wenn er nicht in sich fest
ist.
So ist es auch umgekehrt. Wer in einer edlen, reinen Umgebung lebt, in dem
werden sich reine Absichten und Ideen kundgeben, wenn er für sie
empfänglich ist. Aber ein starker idealer Charakter wird von sich
selbst auf seine ganze Umgebung eine reinigende Wirkung ausüben und
an ihm gleitet alles Niedere, das auf ihn eindringt, herab.
Erst aber ein geistig Wiedergeborener oder ein wahrer Mystiker wirkt auf die
Gedankenatmosphäre einer ganzen Stadt. Er steht geistig vereinzelt
da wie ein funkelnder Stern. Die Meister, die geistig die ganze
Gedankenatmosphäre der Erde überblicken, finden sofort jeden, der
solcherweise über das Alltagsleben hinausragt. Von ihm geht ein
grosses Licht aus. Ein Meister der Weisheit oder Gottmensch aber
wirkt durch seine Gedankenmacht auf die ganze Menschheit, und er tut
dies mit vollem Bewusstsein und mit bestimmten göttlichen Absichten.
Jede Nation hat auch ihre eigene geistige Färbung, ihre farbige Brille,
durch die jeder sehen muss. Alles was er betrachtet, nimmt die
Färbung dieser Gedankenbrille an, und er sieht die Sachlage nicht,
wie sie ist. Er beurteilt die andere Nation nicht, wie sie in
Wirklichkeit ist.
Der Engländer lacht über den Deutschen und der Deutsche über den Engländer,
der Europäer über den Chinesen und die Chinesen über die Europäer,
aber alle irren sie sich natürlich, weil sie nicht absolut neutral
international denken können.
Sehr starke Gedanken und Absichten wirken sogar auf grosse Entfernungen.
Wenn in einem Musikinstrument ein Ton angeschlagen wird, so klingen
gleicht gestimmte töne mit. Ähnlich ist es mit den
Gedankenschwingungen der Seele, nur in einem viel grösseren Umfange.
Sie wirken auf gleich gestimmte Seelen ein und mancher Verbrecher
ist nur das Opfer von im Geheimen geplanten Attentaten. Viele
Verbrecher wussten nicht, was sie taten. Sie wurden deshalb auf
Geistesgestörtheit geprüft und als unzurechnungsfähig betrachtet.
Tatsache ist auch, dass zu manchen Zeiten wahre Mordepidemien
entstehen, worauf es eine Zeit lang wieder ruhig wird.
Die Hauptursache derselben beruht auf seelische Ansteckung durch
Gedankenmächte. Die Hinrichtung der Mörder ist also keine wirkliche
Abhilfe für die Welt, wenn das Gedanken- und Gemütsleben nicht
gebessert wird. Dies könnte nur geschehen durch die Verbreitung
einer höheren Weltanschauung, was gerade die theosophische Bewegung
bezwecken will. Die Nicht- Erkenntnis ist ja nicht das Grundübel,
woraus alle sozialen und persönlichen Missstände entspringen.
Aber nicht nur böse und teuflische Gedanken werden in die Welt
hinausgeschickt und suchen ihre Opfer, sondern auch gute und edle.
Und wer für dieselben empfänglich ist, in dem werden sie
auftauchen und ihn stärken.
Ja die Hauptbeschäftigung der Meister und Adepten, der Vollkommenen, ist
die, dass sie fortwährend Ströme göttlicher Gedanken über die
Menschheit aussenden, und wer selber nach göttlicher Erkenntnis
trachtet, der macht sich für sie empfänglich. Sie tun ununterbrochen
Gutes. Aber auch jeder andere Mensch kann allein dadurch schon viel
Gutes tun, dass er Gutes denkt.
Mit den Gedanken ist es eine ganz wunderbare Sache. Sie bauen nämlich auch
den Körper des Menschen auf und der Körper ist daher der Ausdruck
der Gedanken.
Wenn sich ein Mensch auf Erden verkörpert, so drückt sich der Charakter und
seine Seeleneigenschaft dem Körper auf. Wenn der Mensch erwachsen
ist, so kann man ihm, wenn man darin geübt ist, seinen Charakter aus
den Gesichtszügen, aus Grösse, Form und Bau des Körpers ablesen. Der
Körper ist der Ausdruck der Seele. Dies stimmt auch mit dem Karma,
oder dem Gesetz der ausgleichenden Gerechtigkeit, vollständig
überein, wonach die Gedanken und Absichten, die ein Mensch in einem
früheren leben ins Werk setzte, sich an ihm selbst verwirklichen.
Und wenn ein Mensch als Krüppel zur Welt kommt, so kommt dies
vielleicht daher, dass er in einem früheren Leben die göttliche Gabe
eines normalen Körpers missbraucht und geschändet oder andere
verspottet hatte.
Sogar das Geschlecht eines Menschen wird nur durch seine Seeleneigenschaft
bestimmt und kommt durch die Geburt zum Ausdruck. So kann ein Mensch
durch mehrere Inkarnationen hindurch männliche oder weibliche
Seeleneigenschaften geäussert haben.
Der Charakter und die Weltanschauung des Menschen baut aber den Körper nicht
nur auf, sondern verändert ihn fortwährend. Es ist eine bekannte
Tatsache, dass sich der menschliche Körper jedesmal in sieben Jahren
vollständig erneuert, d.h. die äusserst kleinsten Stoffteilchen des
materiellen Körpers werden fortwährend abgesondert und an deren
Stelle neu gesetzt, so dass in sieben Jahren der ganze Prozess
vollendet ist und der menschliche Körper sich nach und nach ganz
unmerklich erneuert hat.
Aber wodurch werden die winzigen Teilchen der Materie geleitet, dahin zu
gehen, wo sie gerade sollen? Nur durch das Seelenleben des Menschen
durch seine Gedankenrichtung. Die Teilchen würden allerdings auch
ohne Gedankenrichtung den Körper aufbauen, aber das, was die äussere
Form des Menschen von anderen unterscheidet die Physiognomie usw.
wird nur durch die Seele bestimmt und durch die Geistesrichtung
geregelt.
Diejenigen Geschöpfe die noch kein geistiges Leben besitzen, die nicht
denken, bei denen ist auch keine Intelligenz abzulesen.
Beim Menschen geschieht der ganze Aufbau und die Umgestaltung seines Körpers
nach seiner Gedankenrichtung, weil Gedanken eine suggestive oder
hypnotische Kraft besitzen. Da also der Körper durch die Gedanken
aufgebaut und geleitet, verbessert und verschlechtert wird, schön
oder hässlich gemacht werden kann, so ist es sehr wichtig, dass wir
auf das Acht haben, was wir denken.
Wer dies weiss, der wird versuchen, seine Gedanken zu
beherrschen und nur harmonische, schöne, edle und Gesunde Gedanken
denken, und er wird die Folge an sich selber erleben. Er wird im
Laufe der Zeit selbst gesund, fröhlich und glücklich werden.
Wie die Gedanken auf den Körper wirken, können wir sehen, wenn wir einen
Menschen betrachten, der längere Zeit in Verhältnisse gerät, wo er
aus seinen alten Gewohnheiten aufgerüttelt wird und eine ganz neue
Gedankenrichtung beginnen muss. Dies geschieht hauptsächlich über
die Zeit des Militärdienstes, oder wenn jemand einige Zeit im
Ausland lebte oder wenn jemand aus einem sorgenlosen Leben in
Verhältnisse kommt, wo er anders denken und rechnen muss, oder
umgekehrt, oder wenn sich der Mensch eine andere Weltanschauung
aneignet. In solchen Fällen ist oft sehr deutlich eine grosse
Veränderung in Körperform, Charakterzug und Kopfform zu bemerken,
und einem Soldaten kann man oft sehr leicht ansehen, ob er im ersten
oder zweiten Jahr seines Militärdienstes steht.
Aber auch auf Gesundheit oder Krankheit wirken die Gedanken ein, sogar auf
Schmerzen. Es ist bekannt, dass Leute, die Furcht vor Erkältung
haben, sich gerne erkälten. Es ist bekannt, dass Leute, die sich
lange Zeit Krankheiten einbilden, krank werden. Es ist bekannt, dass
der Schmerz plötzlich aufhört, wenn der Mensch über etwas erschrickt
oder erstaunt, weil alle Gedanken des Scherzes in diesem Moment
verdrängt werden. Aber ebenso ist es auch möglich, dass es ein
Mensch soweit bringt, dass er jederzeit Gedanken des Schmerzes von
sich weisen kann. Und ebenso ist es auch möglich, dass ein Mensch
gesund wird, wenn er sich fortwährend Gesundheit einbildet. Aber
dies ist dann nicht nur Einbildung, sondern Wahrheit.
Der eigentliche Mensch ist nie krank, er leidet nie Schmerz, ist nie
unglücklich und stirbt nie. Er ist göttlich und steht über den
Gedanken und Empfindungen.
Jeder, der sich über die Schwankungen des Gedankenlebens erheben kann, kann
sich über Krankheit und Schmerz erheben, was beim gewöhnlichen
Menschen nur Momentweise geschehen kann, während des Schreckens und
Erstaunens.
Verschiedene Mystiker und Märtyrer der vergangenen Zeiten haben in dieser
Fähigkeit aber eine sehr hohe Stufe erreicht.
Aber auch der Mensch kann durch Regelung und Beherrschung
seiner Gedanken auf sein ganzes Schicksal einwirken, es verbessern.
Dies kann besonders geübt werden, um die vollständige
Selbstbeherrschung zu erlangen, und diese besteht darin, dass der
Mensch fortwährend zu jeder Zeit, bei allem was er tut, seine
Gedanken kontrolliert und keinem Gedanken Zutritt gewährt, den er
nicht haben will. Hat er dies erreicht, dann sieht er in sich ein
höheres Bewusstsein heraufdämmern, worin vollständige Gedankenstille
und göttlicher Friede herrscht, in den er sich jederzeit
zurückziehen kann und den er jederzeit in sich herumträgt. Es ist
der Friede, der über der Gedankentätigkeit und über der irdischen
Vernunft steht. Es ist das Erwachen des göttlichen Bewusstseins im
Menschen, welcher Vorgang in der Bibel die geistige Wiedergeburt
genannt wird. Und daraus entspringt dann geistige Wahrnehmung,
geistige Kräfte und geistige Erkenntnis.
In dem Buch der goldenen Lehren heisst es:“
Deine Gedanken sind die Schlächter des Göttlichen in dir, du musst die
Gedanken töten.“
Aber dies ist nicht so leicht, sondern erfordert ausdauernde Übung. Dies
geschieht nicht automatisch, sondern natürlich. Ja, es kann nur auf
natürliche Art gehen.
Wenn nämlich ein Mensch fortwährend ein höheres Ideal in sich trägt,
sei es z.B. die Liebe zur Wahrheit, so konzentriert er von selbst
seine Gedanken darauf, erhebt sich zu diesem Ideal und verwirklicht
es. Daher kommt es auch, dass die Märtyrer durch das intensive
Festhalten an Ihre Idealen sich über alle Leiden und Schmerzen
erhoben haben. Aber dies gelingt jedem, der die Wahrheit oder Gott
über alles liebt.
Er wird ein Weiser, ein Gottmensch, denn in ihm erwacht die Gottheit, die
die Wahrheit ist. Fremde Einflüsse und Gedankenbilder fallen von ihm
nieder wie Mücken vor einem Licht. Er ist selbst das Licht. Erst
wenn wir dies erreicht haben, gehören wir, wie es die Bibel sagt, zu
den Jungfrauen, die Öl in ihrer Lampe haben.
Die Gedanken sind die Ursachen von allem. Das was ein Mensch denkt, wird er.
Hegt ein Mensch Mordgedanken, so wird er ein Mörder. Hegt er
Diebstahlgedanken dann wird er ein Dieb. Denkt er viel Gutes, so
wird er selber gut. Denkt er Wahrheit, dann führt er schliesslich
selber ein wahres leben. Denkt er Verkehrtheit, dann wird er
verkehrt. Denkt er Krankheitsgedanken, dann wird er krank, denkt er
Gesundheitsgedanken, dann wir er gesund. Denkt er aber
ununterbrochen an Gott, tut alles in Harmonie mit dem Allwillen und
dem Karmagesetz, dann wird er ein göttlicher Mensch, ein
Erleuchteter. Und diese letzten Gedanken, das Denken an Gott, die
Entfaltung des höheren Ichs, ist das, was man unter Konzentration
oder Meditation versteht. Es ist soviel wie Gebet oder Andacht nur
in einem viel höheren Sinn, es ist kein Verlangen oder Bitten und
auch keine Schwärmerei.
Meditation im wahrsten Sinne des Wortes heisst: „ Sich seiner Göttlichkeit
besinnen. Es mag vielen als unmöglich und absurd erscheinen,
immerwährend an ihr höheres Ich zu denken.
Und dennoch ist es eine ganz natürliche Sache. Der Mensch denkt ja auch
fortwährend an sein persönliches Ich. Er ist
sich den ganzen Tag bewusst, dass er da ist, dass er
existiert. Aber nun, jeder Mensch fühlt doch auch mehr oder weniger,
dass etwas höheres in ihm wohnt, welches Höhere er als die Ursache
des geistigen Strebens erkennt.
Wenn nun ein Mensch bei allem was er tut, denkt und handelt, jenes Höhere im
Auge hat, dann erwacht es immer mehr in ihm und es indentifiziert
sich schliesslich mit ihm selber. Er erkennt es als sein eigenes
unsterbliches göttliches Wesen.
Dann wird aber sein vergängliches Persönlichkeitsbewusstsein immer mehr in
den Hintergrund treten, bis es schliesslich ganz ausgerottet wird,
d.h. bis es in dem höheren aufgeht. Dies wird der mystische Tod
genannt, weil es ein Tod bei Lebzeiten ist.
Dies erreicht man nicht durch Untätigkeit, sondern indem man anstelle des
niederen etwas höheres setzt. Dieser mystische Tod wird in der Bibel
genannt: Das Sterben in Christo. Und die Buddhisten nennen es
Nirwana, d.h. das Erloschensein. Das persönliche Selbst samt seinem
Gefolge, Schmerz, Unglück, Nicht-Erkenntnis, Schwachheit,
Selbstsucht ist dann aus dem Bewusstsein ausgerottet. Natürlich,
Bewusstsein muss erhalten bleiben, nur der Wahn des Sonderseins
stirbt. In manchen Schriften werden auch besondere Gedankenübungen
zur Erweckung geistiger Kräfte vorgeschrieben, die regelmässig
wiederholt und eingeprägt werden müssen, was besonders für Leidende
und Nervöse von Nutzen sein mag.
In dem Buche: Die Bemeisterung des Schicksal von Dr. Braun finden wir
derartige Anleitungen. Man könnte daraus folgende Gedankenübung
kombinieren:
Das wahre Wesen des Menschen ist göttlich. Es ist aus Gott entsprungen und
kann deshalb nicht leiden. Da ich dies erkenne so brauche ich an den
Leiden des Körpers nicht mehr teilzunehmen. Alles Leid existiert nur
in einem falschen Glauben, es ist eine Folge meiner früheren
Überzeugung, dass der wahre Mensch krank und mangelhaft sein könnte.
Alles Leid entsprang aus der falschen Überzeugung, dass ich
von einem Körper abhänge. Mein tiefstes und wirklichstes Selbst ist
das Gesetz oder Gott. Ich will nun das sein, was ich zu sein von mir
fordere, ich bin wiedergeboren. Ich bin ein neuer Mensch.
Dies ist nun ein vollständig neuer Gedankengang, und wer ihn vollständig in
sich aufnimmt, in dem wird eine grosse Umwandlung stattfinden, denn
der Körper ist der Ausdruck der Überzeugung des Menschen.
Aber allein schon dadurch, dass sich ein Mensch ernstlich und mit Ausdauer
mit dem Studium höherer Dinge befasst, nimmt er einen neuen
Gedankengang an, der günstig auf körperliche und seelische
Gesundheit und Harmonie einwirkt, wenn es der Betreffende auch nicht
weiss und nicht glaubt, aber nach einiger Zeit selbst in sich merken
wird, wenn er auf vergangene Zeiten zurückschaut.
Die Gedankenkontrolle sollte auch beim Lesen von Schriften eingehalten
werden, besonders bei theosophischer Literatur. Anfangs scheint
einem dieselbe etwas schwer verdaulich zu sein, und man empfindet
unter Umständen einen Widerwillen dagegen, weil es einem schwer
fällt, seine Gedanken so darauf zu konzentrieren, dass man den
Inhalt versteht.
Oder man geht über Abschnitte hinweg ohne sie verstanden zu haben. Aber
gerade diese Bücher sollten sehr bedachtsam und langsam gelesen
werden, ehe man darüber urteilt. Es
handelt sich nicht darum, viel Theosophie zu studieren, sondern das,
was man liest, - gründlich.
Das Studium erbaulicher Schriften ist eine vorzügliche Methode der
Gedankenübung, die nicht nachteilig ist, den Menschen nicht aufregt
oder ihm schlaflose Nächte bringt, sondern ihn verinnerlicht, zu
sich selbst einkehren lässt, geistig erhebt und körperlich gesund
macht.
Dies ist der Anfang einer bewussten Ausübung der Macht der Gedanken, die
Hinführung auf den Pfad zur Entwicklung der menschlichen
Seelenkräfte.